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"Alkoholismus": Alkoholmissbrauch/Alkoholabhängigkeit

Therapie

Konkrete Wege zu einem individuellen Therapiekonzept bei der Diagnose Alkoholabhängigkeit

Die pauschale Diagnose Alkoholismus allein ist keine ausreichende Grundlage zur Erstellung eines differenzierten Behandlungskonzeptes, haben vor allem die ernüchternden Ergebnisse pauschaler Therapien bestätigt. In jedem Fall wird deshalb eine weitere Differenzierung zur Schaffung eines individuell angepassten Therapiekonzepts erforderlich. Die dafür möglichen Zugänge liegen in einer Differenzierung des konkret vorliegenden Schadensmusters und der Anpassung an den aktuell gegebenen Verlaufsabschnitt.

Die erheblichen Verschiedenheiten von klinischen Bildern, Entwicklungsdynamik und Hintergrundstörungen erfordern für die Therapiegestaltung eine weitere Differenzierung des Krankheitsbildes bei jedem einzelnen Patienten.

In der Praxis bieten sich dafür unterschiedliche methodische Zugänge an:

  • Typologien: Gemeint sind charakteristische Untergruppen der Alkoholabhängigkeiten mit typischem Konsummuster und dazu passenden Hintergründen und Schadenskategorien, z.B. Konflikttrinker versus Spiegeltrinker nach Jellinek bzw. zahlreiche andere Konstellationen, z.B. Cloninger, Lesch u.a.m. Die Vorteile von Typologien gegenüber der pauschalen Diagnose „Alkoholabhängigkeit“ liegen in Gemeinsamkeiten der Verlaufsformen und damit der Möglichkeit zur verbesserten Einschätzung der individuell erforderlichen therapeutischen Maßnahmen. Einschränkend anzumerken sind die bei Typologien immer gegebenen Risiken von Überschneidungen bzw. von im Einzelfall nicht übereinstimmenden Krankheitsfaktoren. Deshalb empfiehlt sich eine
  • Differenzierung des Syndrombildes einer Alkoholabhängigkeit in jedem Einzelfall: Zur noch genaueren Bestimmung der notwendigen Therapieressourcen für den jeweiligen Einzelfall wurde eine Orientierung über die individuell vorliegenden Symptomschwerpunkte, aus denen sich das Syndrom einer Alkoholabhängigkeit zusammensetzt, konzipiert. Bei dieser Syndromanalyse werden bei jedem Patienten nachstehende Komponenten ermittelt und in ihrer Intensität eingeschätzt:
  1. die psychische Situation bzw. allfällig bestehende psychische Störungen mit Behandlungsbedarf
  2. alkoholismusbedingt entstandene kognitive Leistungsstörung
  3. körperliche Erkrankungen im Kontext der Alkoholabhängigkeit
  4. Abwehrmechanismen und Probleme der Krankheitseinsicht
  5. Probleme und Konflikte im sozialen/familiären Bereich

Gegebenfalls werden zusätzlich allfällige spezielle abhängigkeitsbedingte Phänomene im Einzelfall, wie extremes protrahiertes Suchtmittelverlangen „Craving“ u. a., dokumentiert.

Diese Parameter werden in jedem Einzelfall qualitativ bzw. nach Schweregrad ihrer Ausprägung differenziert und gegebenenfalls in der obigen Reihenfolge geordnet graphisch dargestellt:

Wie am gegebenen Beispiel ersichtlich, zeigen sich neben einem Gesamtüberblick über das Störungsausmaß auch die aktuell besonders erforderlichen Therapieschwerpunkte, z.B. hier in den Bereichen Psyche und Motivation. Ein weiterer Vorteil liegt in der damit gegebenen Möglichkeit, bei späteren Verlaufsuntersuchungen Veränderungen bzw. noch weiterhin gegebenen Therapiebedarf sichtbar zu machen.
(Siehe auch: H. Scholz: Syndrombezogene Alkoholismustherapie, Hogrefe Verlag, 1996.

 
Verlaufsorientiertes Basisbehandlungsprogramm bei Alkoholabhängigkeiten

Ein weiteres Prinzip zur Individualisierung des Therapiekonzepts liegt in der Verlaufsorientierung: Sie beruht darauf, dass sich eine manifeste Abhängigkeit analog zu ihrer schrittweisen Entwicklung auch in charakteristischen, aufeinander folgenden Phasen zurückbildet.

Die therapeutische Bedeutung dieser Befunde liegt in der Tatsache, dass in jeder dieser Phasen unterschiedliche Rückfallsrisiken und somit auch unterschiedlicher Therapiebedarf bestehen. Dadurch wird es sinnvoll, die Therapie immer an den jeweilig bestehenden Verlaufsabschnitt anzupassen und zusätzlich den Patienten über bevorstehende Veränderungen und deren Risiken zu informieren.

Daraus ergibt sich ein therapeutischer Stufenplan mit nachstehend beschriebenen markanten Abschnitten, der hier verkürzt dargestellt wird:

In der meist ambulanten Motivationsphase, auch Kontakt- und Orientierungsphase genannt, sind die Patienten mehrheitlich noch nicht abstinent. Die vordringliche therapeutische Aufgabe besteht in Maßnahmen zur Stabilisierung sowie der Motivationsarbeit als Grundlage zur Entwicklung eines gemeinsamen mittel- und langfristigen Behandlungskonzeptes.

Als erste Maßnahme erfolgt eine Bestandsaufnahme der Problematik. Wichtiger Bestandteil sind neben einer ausführlichen Anamnese die Klärung der Motivationslage und ein möglichst klar formulierter Behandlungsauftrag (Petry, 1993). Nach der Problem- und Motivationsabklärung werden die möglichen Therapievarianten diskutiert, Erwartungshaltungen und Befürchtungen seitens des Patienten analysiert. Ziel in dieser Phase ist die Entwicklung einer ersten Behandlungsbereitschaft (Kröber, 1996).

Probleme, die in dieser Phase auftreten können, sind eine eventuelle Alkoholisierung des Patienten, eine unklare Motivationslage bzw. eine Ambivalenz, Abwehrhaltungen und Schwellenängste, die speziell vielfach als Ausdruck einer grundsätzlichen Unehrlichkeit von Suchtkranken fehlinterpretiert werden. Dadurch kann sich der Aggressionsdruck der Umgebung noch verstärken, wodurch es beim Alkoholabhängigen selbst zu einer Bestätigung all seiner Befürchtungen kommen muss. Aus diesem Grund ist es wesentlich sinnvoller, die bei jedem Abhängigen zu erwartenden Abwehrmechanismen vorurteilslos als Verteidigungsstrategien anzusehen und in der Motivationsarbeit gezielt zu thematisieren.

Zu den häufigsten Abwehrmechanismen zählen:

  • die Verleugnung des Alkoholüberkonsums bzw. die daraus entstandenen Probleme,
  • die Verschiebung der Verantwortung auf andere Faktoren, z.B. auf Familie und Beruf,
  • ein „Nicht-wahrhaben-Wollen“ einer bereits manifesten Abhängigkeit,
  • Spaltungsversuche zwischen Angehörigen und Therapeuten sowie
  • Realitätsverleugnung.

Demzufolge sind aggressiv-konfrontative therapeutische Verfahren kontraindiziert, vielmehr hat sich ein verständnisvoll unterstützendes Vorgehen bewährt. Weitere Ziele, die seitens des Therapeuten gemeinsam mit dem Patienten angestrebt werden, sind die Klärung der Überweisungsmodi, eine Analyse der derzeitigen Problemlage, der Abbau von möglichen negativen Klischeevorstellungen und Vorurteilen.

Motivierende Gesprächsführung mit alkoholabhängigen Patienten:

Der Ausstieg aus einer Abhängigkeit durchläuft bei abhängigen Patienten in der Regel mehrere Stufen und bedarf häufig wiederholter Anläufe. Prohaska und DiClemente (1992) beschreiben diesen Veränderungsprozess über sechs Phasen einschließlich des Rückfalls und bezeichnen diesen Prozess als zirkulär.

Das Veränderungsmodell von Prohaska und DiClemente 1992:

  • Phase der Vorüberlegung
  • Phase des Nachdenkens
  • Phase der Entscheidung
  • Umsetzungsphase
  • Phase des Rückfalls

Das Phasenmodell von Prohaska und DiClemente zeigt, dass das Bewältigen eines Abhängigkeitsprozesses nicht beendet ist mit der Aufgabe des Konsummusters, sondern dass motivationale Prozesse der Entscheidungsbildung und die Aufrechterhaltung dieser Veränderungen wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen und zufriedenen abstinenten Lebensgestaltung für Betroffene sind.

Zu den in der ärztlichen Praxis wichtigsten Grundsätzen der Motivationsarbeit zählt somit das Verständnis für die aktuelle Situation des Patienten und seine Abwehrhaltungen, aber auch eine klare eigene Position bezüglich der notwendigen therapeutischen Veränderungen.

 
Die Behandlungsabschnitte nach Abstinenzbeginn

Im Anschluss an die Motivationsphase folgen nach den Ergebnissen der Längsschnittbetrachtung zu Therapiebeginn eine akute Entzugsphase, eine Restitutionsphase, die im Verlauf mehrerer Wochen von kurz auftretenden Krisen unterbrochen werden kann, und letztlich eine Latenz- und Stabilisierungsphase, die ihrerseits wiederum von Spätkrisen gekennzeichnet sein kann:

Abb.: Verlaufsbedingte Veränderungen der Symptomhäufigkeiten bei 40 abstinent verbliebenen Alkoholkranken während der ersten zwei Jahre nach Abstinenzbeginn

 
Die akute Entzugsphase beginnt mit Beendigung des manifesten Suchtmittelkonsums und hält, je nach Intensität der Symptomatik, mehrere Tage bis zu zwei Wochen an.
Die therapeutischen Aufgaben konzentrieren sich auf die Behandlung der individuellen Entzugssymptomatik, deren Ausprägung individuell sehr unterschiedlich sein kann.
Bei ganz gering ausgeprägter Symptomatik genügt meist eine Ruhigstellung, stützende Gesprächstherapie und Entlastung bzw. eine leichte Sedierung, z.B. mit Tiapride, evtl. mit begleitender Anfallsprophylaxe durch Carbamazepin.
Bei stärkerer Ausprägung bzw. Steigerungstendenz bedarf es einer zusätzlichen pharmakologischen Dämpfung der zentralnervösen Hyperexzitabilität mit einer der Ausprägung des Entzugssyndroms angepassten Dosierung von Benzodiazepinen, die allerdings auf Grund ihres Abhängigkeitspotentials nur im stationären Behandlungssetting verabreicht werden dürfen.

Die Restitutionsphase setzt nach Abklingen des Entzugssyndroms ein und dauert etwa 5 bis 7 Wochen.
Charakteristika: Subjektiv fühlen sich die Patienten durch den Wegfall der Entzugssymptomatik massiv erleichtert und überschätzen vielfach die erreichte Stabilität, die schon bei geringen Belastungen in sichtbare emotionale Instabilität umschlagen kann.
Besonders zu berücksichtigen sind auch die noch erheblichen kognitiven Störungen sowie die nach wie vor bestehenden Abwehrmechanismen. Dazu kommt noch eine vor allem bei Belastungen einsetzende Krisenanfälligkeit aufgrund der nach wie vor gegebenen Reaktionsbereitschaft suchtspezifischer mesolimbischer Funktionszentren, die vielfach schon bei geringen Belastungen zu einer krisenhaften Verschärfung von psychischer Irritabilität, Dysphorie und Alkoholverlangen tendieren.

Therapeutisch empfiehlt sich in dieser mehrwöchigen ersten Erholungsphase eine Intensivierung der Motivationsarbeit.
Dementsprechend empfiehlt sich das Herausarbeiten positiver Perspektiven durch den Wegfall der schädigenden Suchtmitteleffekte.
Aufgrund der vielfach gegebenen kognitiven Einschränkungen sollte die Gesprächsführung einfach, verständlich und auf die Situation des Betroffenen ausgerichtet bleiben. Bereits zu diesem Zeitpunkt sollten die Patienten auf noch bevorstehende protrahiert einsetzende Krisen und damit gegebene Rückfallsrisiken vorbereitet werden.

Die protrahiert einsetzenden Krisen im Abstinenzverlauf können spontan oder noch häufiger bei Konfrontation mit neuerlichen Belastungen einsetzen. Charakteristische Kennzeichen sind oft überfallsmäßig einsetzendes massives Alkoholverlangen, vielfach in Verbindung mit Nervosität, dysphorischer Verstimmung, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, fallweise begleitet von vegetativen Begleitsymptomen und Schlafstörungen.
Therapeutisch genügen vielfach stützende Gespräche zum Abklingen der akuten Erregung, dafür sollten naturgemäß entsprechende therapeutische Kontaktmöglichkeiten vorgesehen sein. Bei Anhalten der Beschwerden, speziell massiverer dysphorischer Unruhe und Gespanntheit, wird eine zusätzliche medikamentöse Sedierung durch dämpfend wirkende Antidepressiva, z.B. Opipramol, Trazodon oder Mianserin, bzw. niedrig dosierte Neuroleptika erforderlich. Keinesfalls sollten ambulant Benzodiazepine oder andere sedierende Substanzen mit eigenem Abhängigkeitspotential gegeben werden.
Das Auftreten von stärkerem bzw. länger anhaltendem Alkoholverlangen ist eine Indikation für die Einstellung auf eine Anticraving-Medikation mit Acamprosate oder Naltrexon. Diese Medikation sollte dann zumindest 6 bis 12 Monate beibehalten werden.

Die nachfolgende Latenzphase bis Ende des ersten Behandlungsjahres stellt meist einen symptomärmeren und somit ruhigeren Abschnitt dar, in dem allerdings die im mesolimbischen System programmierten Abhängigkeitsmechanismen nach wie vor latent vorhanden sind.
Dementsprechend ist auch noch mit restlichen Abwehrmechanismen sowie einer oft überfallsartigen Reaktivierung von Suchtmittelverlangen zu rechnen.
Ein weiterer rückfallsgefährdender Faktor liegt in der Tendenz zur Motivationsverminderung mit zunehmend zeitlichem Abstand zur Akuttherapie.
Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren sich dementsprechend speziell auf die Beseitigung restlicher Abwehrmechanismen und auf eine Beibehaltung und Verbesserung der dauerhaften Behandlungs- und Abstinenzmotivation.
Bei neuerlichem Auftreten seelischer Hintergrundstörungen, z.B. manifester depressiver Stimmungsphasen, bipolarer Verläufe bzw. psychotische Episoden oder Angststörungen, empfiehlt sich das bei diesen Erkrankungen auch sonst übliche Standardvorgehen, allerdings ohne ambulant verordnete Benzodiazepine.
Da nach Ergebnissen von Langzeituntersuchungen im ersten Behandlungsjahr auch weitere späte Krisen aufgrund des noch latent vorhandenen Abhängigkeitsprozesses einsetzen können, sollten die Patienten darauf ausreichend vorbereitet werden.

In der meist ruhigen symptomarmen Stabilisierungsphase im Verlauf des zweiten Abstinenzjahres konzentrieren sich die therapeutischen Aufgaben vornehmlich auf die Weiterführung der Motivationsarbeit hinsichtlich Langzeitabstinenz.
Eine weitere Aufgabe besteht in der Förderung der emotionalen Stabilität ohne die Reaktivierung des Suchtmittelkonsums, auch bei außergewöhnlichen Belastungen.
Optimale Organisationsformen sind neben Einzeltherapien die regional erreichbaren Nachbetreuungsgruppen für Alkoholabhängige, da sich gerade in diesem Setting die Patienten durch Erfahrungsaustausch und Zuwendung gegenseitig motivieren.
Da Spätrückfälle auch nach langjähriger Abstinenz möglich sind, sollten den Patienten auch nach den ersten beiden Behandlungsjahren in größeren Abschnitten Behandlungskontakte angeboten werden. Diese dienen zur Aufrechterhaltung der Motivation sowie auch zur frühen Erfassung allfälliger intermittierender Störungen und Turbulenzen.

Nach einem manifesten Alkoholrückfall, der sich in jedem Therapieabschnitt ereignen kann, ist neben dem Rückfallgeschehen selbst auch mit einer massiven Stimmungsverschlechterung zu rechnen, die sich häufig in Schuldgefühlen und Negativismen („Abstinenzverletzungssyndrom“) ausdrücken. Therapeutisch empfiehlt sich deshalb eher eine stützende Gesprächsführung zum Neuaufbau von positiven Perspektiven mit entsprechender Motivationsarbeit zur neuerlichen Durchbrechung der manifesten Abhängigkeit. Bei starkem Alkoholverlangen kann es sinnvoll sein, den Patienten auf eine gängige Anticravingsubstanz einzustellen.

 
Psychopharmakologische Behandlungsstrategien bei Alkoholabhängigkeiten

Die wesentlichsten Zielgebiete sind:

  • Medikamentöse Prinzipien, die sich direkt auf Symptome der Abhängigkeit, z.B. kompulsives Trinken oder massives Craving richten
  • Medikamentöse Behandlungsstrategien zur Therapie des akuten und protrahierten Entzugssyndroms
  • Pharmakologische Möglichkeiten zur Behandlung von alkoholtoxisch bedingten Folgeerkrankungen bzw. auch zur Therapie psychiatrischer Hintergrundstörungen oder psychischer Begleiterkrankungen

Im Sinne der aktuellen Aufgabenstellung wird sich dieser Beitrag vorwiegend mit medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten beschäftigen, die sich direkt auf Symptome der Alkoholabhängigkeit selbst richten.

Vor der bereits angesprochenen Entwicklung der neueren Anticravingsubstanzen dominierten in der Alkoholismustherapie die sog. Alkoholaversiva, speziell Disulfiram (Antabus) bzw. in jüngerer Zeit auch Cyanamid (Colme). Der therapeutische Effekt des Disulfiram beruht bekanntlich auf einer Blockade des Alkoholmetabolismus mit vermehrter Anreicherung des AZ-Aldehyds, der in Kombination mit Alkoholeinnahme dann zu Übelkeit, Nausea, Tachykardie und anderen toxisch aversiven Symptomen führen kann.
Cyanamid entwickelt in Kombination mit Alkohol wesentlich mildere aversive Symptome als Disulfiram. Beide Prinzipien werden heute nur mehr selten und in speziell begründeten Verläufen eingesetzt.

Die Mehrzahl kontrollierter Studien der letzten Jahrzehnte befasst sich naturgemäß mit der Effektivität der bereits angesprochenen Anticravingsubstanzen, wobei speziell bei Acamprosate (Campral) und Naltrexone (Revia) zahlreiche Untersuchungen vorliegen:

Zu den intensiv untersuchten Substanzen dieser Klasse zählt vor allem Acamprosate. Nach derzeitigem Wissensstand beruht der pharmakologische Mechanismus auf einer Reduktion der glutamatergen, neuralen Hyperexzitabilität, die sich durch den toxischen Alkoholeffekt, aber auch durch gehäufte Entzugssituationen entwickelt. Tierexperimentelle Untersuchungen bestätigten die Vermutung einer Beeinflussung der zentralen Dopaminfunktionen, speziell im Bereich des Nucleus accumbens.
Die Substanz Acamprosate wird im Wesentlichen gut vertragen, als Nebenwirkungen werden gelegentlich leichtere Durchfälle beschrieben. Als Therapiedauer wird eine Zeit von sechs bis zwölf Monaten empfohlen. Eine gewisse Problematik liegt sicherlich bei manchen Patienten in der Tagesmenge von sechs Tabletten (2 x 3 oder 3 x 2 Tabletten), die naturgemäß eine erhebliche Compliance des Patienten erfordert. Ein weiteres Problem besteht in der langen Vorlaufzeit, bis sich ein ausreichender pharmakologischer Effekt einstellt, somit auch in der nicht gegebenen Eignung von Acamprosate für eine kürzerfristige Therapie.

Alternativ zu Acamprosate kann durch den Einsatz des Opioidantagonisten Naltrexone nach empirischen Befunden ein Anticravingeffekt erzielt werden, der vermutlich auf einer Beeinflussung des endogenen Opioidsystems entsteht, das ebenfalls mit dem Dopaminsystem in funktioneller Verbindung steht. Sowohl präklinische Studien als auch kontrollierte klinische Untersuchungen haben bestätigt, dass Naltrexonegaben die Trinkmengen reduzieren können (O’Malley et al. 1995, Garbutt et al. 1999).
Die Dosierung von Naltrexone ist mit 1 x 50 mg tgl. einfacher, es muss allerdings einschränkend festgestellt werden, dass es in der bisherigen Literatur kaum geeignete Dosisfindungsstudien gibt, hier besteht noch ein erheblicher Nachholbedarf. Die Therapiedauer wird mit 6 bis 12 Monaten veranschlagt.

Aufgrund der insgesamt somit doch noch limitierten Ergebnisse der beschriebenen einzelnen Anticravingsubstanzen hat sich das Interesse in den letzten Jahren auch auf Möglichkeiten zur kombinierten Anwendung von Naltrexone und Acamprosate konzentriert. Die Ergebnisse von Kiefer et al. (2003) weisen auf eine Überlegenheit der Kombinationstherapie gegenüber der Monotherapie und dem Einsatz von Placebo hin.

Grundsätzlich bedeuten Anticravingsubstanzen eine Bereicherung des therapeutischen Arsenals, sind aber aufgrund der Komplexität von Abhängigkeitserkrankungen nicht als Monotherapie geeignet. Ihre Wirksamkeit ist nur bei ausreichender Information des Patienten und begleitender komplexer psychosozialer Therapiekonzeption gewährleistet.

Interessante Zukunftsperspektiven könnten nach Vorliegen ausreichender Studien auch für den 5-HT-3Rezeptor-Antagonisten Ondansetron als Anticravingsubstanz entstehen (Johnson et al 2003).
Weitere aktuell diskutierte und untersuchte medikamentöse Prinzipien sind Dopamin-Agonisten (Bromocriptine), Delta-Opioid-Antagonisten, Kalzium-Kanal-Antagonisten (Nimodipine, Isradipine, Puerarin), Neuropeptide, Memantine (Axura, Ebixa), Baclophen sowie seit kurzem auch atypische Neuroleptika wie Olanzapine. Bei all diesen Substanzen liegen aber noch keine ausreichenden klinischen Ergebnisse vor, die einen therapeutischen Einsatz in der Routine rechtfertigen würden. Darüber hinaus fehlen auch noch viele tierexperimentelle Hintergrundinformationen.
Siehe auch: Johnson Bankole, Ruiz Pedro, Galanter Marc: Handbook of Clinical Alcoholism Treatment. Lippincott, Williams & Wilkins, 2003.

Zusammenfassend betrachtet kann die Therapie von Alkoholabhängigkeiten, im Gegensatz zu früheren, sehr nihilistischen Perspektiven, heute sehr gute Resultate aufweisen, wenn:

  • es gelingt den Patienten zu motivieren,
  • die Therapie ausreichend auf das individuelle Krankheitsmuster und den gegebenen Verlaufsabschnitt eingeht und
  • die Bereitschaft zu einer zweijährigen Nachbehandlung erzielt wird.

 

Literaturliste „Motivation“

  • W. Altmannsberger: Kognitiv-verhaltenstherapeutische Rückfallsprävention bei Alkoholabhängigkeit. Hogrefe Verlag, Göttingen, 2004.

  • I. Kim Berg, S. C. Miller: Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Carl Auer Verlag, Heidelberg, 1993.

  • G. Köschel, C. Schindler: Rückfallsprävention mit Alkoholabhängigen. Springer Verlag, Berlin, 2003.

  • W. Miler, St. Rollnick: Motivierende Gesprächsführung. Lambertus Verlag, Freiburg i. Breisgau, 1999 und 2004.

  • J. Petry: Behandlungsmotivation. Beltz Verlag, Göttingen, 1993.

  • J.O. Prohaska, C.C. DiClemente, J.C. Norcross: Search of how people change. Applications to additive behaviours. American Psychologist 47, 1002-1114.