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Konkrete Wege zu einem individuellen Therapiekonzept bei der Diagnose Alkoholabhängigkeit Die pauschale Diagnose Alkoholismus allein ist keine ausreichende Grundlage zur Erstellung eines differenzierten Behandlungskonzeptes, haben vor allem die ernüchternden Ergebnisse pauschaler Therapien bestätigt. In jedem Fall wird deshalb eine weitere Differenzierung zur Schaffung eines individuell angepassten Therapiekonzepts erforderlich. Die dafür möglichen Zugänge liegen in einer Differenzierung des konkret vorliegenden Schadensmusters und der Anpassung an den aktuell gegebenen Verlaufsabschnitt. Die erheblichen Verschiedenheiten von klinischen Bildern, Entwicklungsdynamik und Hintergrundstörungen erfordern für die Therapiegestaltung eine weitere Differenzierung des Krankheitsbildes bei jedem einzelnen Patienten. In der Praxis bieten sich dafür unterschiedliche methodische Zugänge an:
Gegebenfalls werden zusätzlich allfällige spezielle abhängigkeitsbedingte Phänomene im Einzelfall, wie extremes protrahiertes Suchtmittelverlangen „Craving“ u. a., dokumentiert. Diese Parameter werden in jedem Einzelfall qualitativ bzw. nach Schweregrad ihrer Ausprägung differenziert und gegebenenfalls in der obigen Reihenfolge geordnet graphisch dargestellt: Wie am gegebenen Beispiel ersichtlich, zeigen sich neben einem Gesamtüberblick über das Störungsausmaß auch die aktuell besonders erforderlichen Therapieschwerpunkte, z.B. hier in den Bereichen Psyche und Motivation. Ein weiterer Vorteil liegt in der damit gegebenen Möglichkeit, bei späteren Verlaufsuntersuchungen Veränderungen bzw. noch weiterhin gegebenen Therapiebedarf sichtbar zu machen. Ein weiteres Prinzip zur Individualisierung des Therapiekonzepts liegt in der Verlaufsorientierung: Sie beruht darauf, dass sich eine manifeste Abhängigkeit analog zu ihrer schrittweisen Entwicklung auch in charakteristischen, aufeinander folgenden Phasen zurückbildet. Die therapeutische Bedeutung dieser Befunde liegt in der Tatsache, dass in jeder dieser Phasen unterschiedliche Rückfallsrisiken und somit auch unterschiedlicher Therapiebedarf bestehen. Dadurch wird es sinnvoll, die Therapie immer an den jeweilig bestehenden Verlaufsabschnitt anzupassen und zusätzlich den Patienten über bevorstehende Veränderungen und deren Risiken zu informieren. Daraus ergibt sich ein therapeutischer Stufenplan mit nachstehend beschriebenen markanten Abschnitten, der hier verkürzt dargestellt wird: In der meist ambulanten Motivationsphase, auch Kontakt- und Orientierungsphase genannt, sind die Patienten mehrheitlich noch nicht abstinent. Die vordringliche therapeutische Aufgabe besteht in Maßnahmen zur Stabilisierung sowie der Motivationsarbeit als Grundlage zur Entwicklung eines gemeinsamen mittel- und langfristigen Behandlungskonzeptes. Als erste Maßnahme erfolgt eine Bestandsaufnahme der Problematik. Wichtiger Bestandteil sind neben einer ausführlichen Anamnese die Klärung der Motivationslage und ein möglichst klar formulierter Behandlungsauftrag (Petry, 1993). Nach der Problem- und Motivationsabklärung werden die möglichen Therapievarianten diskutiert, Erwartungshaltungen und Befürchtungen seitens des Patienten analysiert. Ziel in dieser Phase ist die Entwicklung einer ersten Behandlungsbereitschaft (Kröber, 1996). Probleme, die in dieser Phase auftreten können, sind eine eventuelle Alkoholisierung des Patienten, eine unklare Motivationslage bzw. eine Ambivalenz, Abwehrhaltungen und Schwellenängste, die speziell vielfach als Ausdruck einer grundsätzlichen Unehrlichkeit von Suchtkranken fehlinterpretiert werden. Dadurch kann sich der Aggressionsdruck der Umgebung noch verstärken, wodurch es beim Alkoholabhängigen selbst zu einer Bestätigung all seiner Befürchtungen kommen muss. Aus diesem Grund ist es wesentlich sinnvoller, die bei jedem Abhängigen zu erwartenden Abwehrmechanismen vorurteilslos als Verteidigungsstrategien anzusehen und in der Motivationsarbeit gezielt zu thematisieren. Zu den häufigsten Abwehrmechanismen zählen:
Demzufolge sind aggressiv-konfrontative therapeutische Verfahren kontraindiziert, vielmehr hat sich ein verständnisvoll unterstützendes Vorgehen bewährt. Weitere Ziele, die seitens des Therapeuten gemeinsam mit dem Patienten angestrebt werden, sind die Klärung der Überweisungsmodi, eine Analyse der derzeitigen Problemlage, der Abbau von möglichen negativen Klischeevorstellungen und Vorurteilen. Motivierende Gesprächsführung mit alkoholabhängigen Patienten: Der Ausstieg aus einer Abhängigkeit durchläuft bei abhängigen Patienten in der Regel mehrere Stufen und bedarf häufig wiederholter Anläufe. Prohaska und DiClemente (1992) beschreiben diesen Veränderungsprozess über sechs Phasen einschließlich des Rückfalls und bezeichnen diesen Prozess als zirkulär. Das Veränderungsmodell von Prohaska und DiClemente 1992:
Das Phasenmodell von Prohaska und DiClemente zeigt, dass das Bewältigen eines Abhängigkeitsprozesses nicht beendet ist mit der Aufgabe des Konsummusters, sondern dass motivationale Prozesse der Entscheidungsbildung und die Aufrechterhaltung dieser Veränderungen wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen und zufriedenen abstinenten Lebensgestaltung für Betroffene sind. Zu den in der ärztlichen Praxis wichtigsten Grundsätzen der Motivationsarbeit zählt somit das Verständnis für die aktuelle Situation des Patienten und seine Abwehrhaltungen, aber auch eine klare eigene Position bezüglich der notwendigen therapeutischen Veränderungen. Im Anschluss an die Motivationsphase folgen nach den Ergebnissen der Längsschnittbetrachtung zu Therapiebeginn eine akute Entzugsphase, eine Restitutionsphase, die im Verlauf mehrerer Wochen von kurz auftretenden Krisen unterbrochen werden kann, und letztlich eine Latenz- und Stabilisierungsphase, die ihrerseits wiederum von Spätkrisen gekennzeichnet sein kann: Abb.: Verlaufsbedingte Veränderungen der Symptomhäufigkeiten bei 40 abstinent verbliebenen Alkoholkranken während der ersten zwei Jahre nach Abstinenzbeginn Die Restitutionsphase setzt nach Abklingen des Entzugssyndroms ein und dauert etwa 5 bis 7 Wochen. Therapeutisch empfiehlt sich in dieser mehrwöchigen ersten Erholungsphase eine Intensivierung der Motivationsarbeit. Die protrahiert einsetzenden Krisen im Abstinenzverlauf können spontan oder noch häufiger bei Konfrontation mit neuerlichen Belastungen einsetzen. Charakteristische Kennzeichen sind oft überfallsmäßig einsetzendes massives Alkoholverlangen, vielfach in Verbindung mit Nervosität, dysphorischer Verstimmung, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, fallweise begleitet von vegetativen Begleitsymptomen und Schlafstörungen. Die nachfolgende Latenzphase bis Ende des ersten Behandlungsjahres stellt meist einen symptomärmeren und somit ruhigeren Abschnitt dar, in dem allerdings die im mesolimbischen System programmierten Abhängigkeitsmechanismen nach wie vor latent vorhanden sind. In der meist ruhigen symptomarmen Stabilisierungsphase im Verlauf des zweiten Abstinenzjahres konzentrieren sich die therapeutischen Aufgaben vornehmlich auf die Weiterführung der Motivationsarbeit hinsichtlich Langzeitabstinenz. Nach einem manifesten Alkoholrückfall, der sich in jedem Therapieabschnitt ereignen kann, ist neben dem Rückfallgeschehen selbst auch mit einer massiven Stimmungsverschlechterung zu rechnen, die sich häufig in Schuldgefühlen und Negativismen („Abstinenzverletzungssyndrom“) ausdrücken. Therapeutisch empfiehlt sich deshalb eher eine stützende Gesprächsführung zum Neuaufbau von positiven Perspektiven mit entsprechender Motivationsarbeit zur neuerlichen Durchbrechung der manifesten Abhängigkeit. Bei starkem Alkoholverlangen kann es sinnvoll sein, den Patienten auf eine gängige Anticravingsubstanz einzustellen. Die wesentlichsten Zielgebiete sind:
Im Sinne der aktuellen Aufgabenstellung wird sich dieser Beitrag vorwiegend mit medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten beschäftigen, die sich direkt auf Symptome der Alkoholabhängigkeit selbst richten. Vor der bereits angesprochenen Entwicklung der neueren Anticravingsubstanzen dominierten in der Alkoholismustherapie die sog. Alkoholaversiva, speziell Disulfiram (Antabus) bzw. in jüngerer Zeit auch Cyanamid (Colme). Der therapeutische Effekt des Disulfiram beruht bekanntlich auf einer Blockade des Alkoholmetabolismus mit vermehrter Anreicherung des AZ-Aldehyds, der in Kombination mit Alkoholeinnahme dann zu Übelkeit, Nausea, Tachykardie und anderen toxisch aversiven Symptomen führen kann. Die Mehrzahl kontrollierter Studien der letzten Jahrzehnte befasst sich naturgemäß mit der Effektivität der bereits angesprochenen Anticravingsubstanzen, wobei speziell bei Acamprosate (Campral) und Naltrexone (Revia) zahlreiche Untersuchungen vorliegen: Zu den intensiv untersuchten Substanzen dieser Klasse zählt vor allem Acamprosate. Nach derzeitigem Wissensstand beruht der pharmakologische Mechanismus auf einer Reduktion der glutamatergen, neuralen Hyperexzitabilität, die sich durch den toxischen Alkoholeffekt, aber auch durch gehäufte Entzugssituationen entwickelt. Tierexperimentelle Untersuchungen bestätigten die Vermutung einer Beeinflussung der zentralen Dopaminfunktionen, speziell im Bereich des Nucleus accumbens. Alternativ zu Acamprosate kann durch den Einsatz des Opioidantagonisten Naltrexone nach empirischen Befunden ein Anticravingeffekt erzielt werden, der vermutlich auf einer Beeinflussung des endogenen Opioidsystems entsteht, das ebenfalls mit dem Dopaminsystem in funktioneller Verbindung steht. Sowohl präklinische Studien als auch kontrollierte klinische Untersuchungen haben bestätigt, dass Naltrexonegaben die Trinkmengen reduzieren können (O’Malley et al. 1995, Garbutt et al. 1999). Aufgrund der insgesamt somit doch noch limitierten Ergebnisse der beschriebenen einzelnen Anticravingsubstanzen hat sich das Interesse in den letzten Jahren auch auf Möglichkeiten zur kombinierten Anwendung von Naltrexone und Acamprosate konzentriert. Die Ergebnisse von Kiefer et al. (2003) weisen auf eine Überlegenheit der Kombinationstherapie gegenüber der Monotherapie und dem Einsatz von Placebo hin. Grundsätzlich bedeuten Anticravingsubstanzen eine Bereicherung des therapeutischen Arsenals, sind aber aufgrund der Komplexität von Abhängigkeitserkrankungen nicht als Monotherapie geeignet. Ihre Wirksamkeit ist nur bei ausreichender Information des Patienten und begleitender komplexer psychosozialer Therapiekonzeption gewährleistet. Interessante Zukunftsperspektiven könnten nach Vorliegen ausreichender Studien auch für den 5-HT-3Rezeptor-Antagonisten Ondansetron als Anticravingsubstanz entstehen (Johnson et al 2003). Zusammenfassend betrachtet kann die Therapie von Alkoholabhängigkeiten, im Gegensatz zu früheren, sehr nihilistischen Perspektiven, heute sehr gute Resultate aufweisen, wenn:
Literaturliste „Motivation“
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